{"id":311,"date":"2021-03-05T14:23:05","date_gmt":"2021-03-05T13:23:05","guid":{"rendered":"http:\/\/prodenkmal.de.server4.kalayourlife.com\/?p=311"},"modified":"2023-07-10T18:08:55","modified_gmt":"2023-07-10T16:08:55","slug":"senckenberganlage-frankfurt-am-main-spurensuche-unter-neuen-farben","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.prodenkmal.de\/de\/senckenberganlage-frankfurt-am-main-spurensuche-unter-neuen-farben\/","title":{"rendered":"Senckenberganlage Frankfurt am Main – Spurensuche unter neuen Farben"},"content":{"rendered":"

Was wollen wir erhalten? Was k\u00f6nnen wir umbauen? Wie unterscheiden wir das eine vom anderen?<\/h3>\n

Fragen, auf die Antworten gefunden werden m\u00fcssen!<\/h3>\n

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Denkmalfachleute k\u00f6nnen alte Geb\u00e4ude lesen wie ein Buch. Hierbei k\u00f6nnen beispielsweise verwendete Formen, Dekorelemente oder Materialien Hinweise auf den jeweiligen Entstehungszeitraum liefern. All diese Informationen dienen als wertvolle Orientierungshilfen f\u00fcr den Umbau eines historischen Geb\u00e4udes, und eine solche Bestandsaufnahme vor Ort geh\u00f6rte daher auch beim Senckenberg-Bauvorhaben zu den ersten Arbeiten. Um aber auch Detailinformationen zu bekommen, die nicht direkt auf (oder unter) den Oberfl\u00e4chen der W\u00e4nde zu sehen sind, gingen die Fachplaner in Bibliotheken und Stadtarchiven auf die Suche nach Bau- oder Umbaupl\u00e4nen, Abbildungen, Fotos oder Texten \u00fcber die betroffenen Geb\u00e4ude. Auch Rechnungen von Handwerkern gaben Aufschluss \u00fcber den Geb\u00e4udebestand, seine Nutzung, seine Zerst\u00f6rung oder Umbauten. Auf diesem Wege wurden zwei Dokumentationswerkzeuge erarbeitet, die f\u00fcr alle beteiligten Gewerke eine wichtige Datengrundlage sind: Das Raumbuch und die Bauchronologie (Abb. unten).<\/p>\n

Das Raumbuch dokumentiert jedes Geb\u00e4ude Raum f\u00fcr Raum mit Texten und Bildern und ordnet R\u00e4ume und Ausstattung zeitlich in die Entstehungsgeschichte des Gesamtgeb\u00e4udes ein. Zur effektiven und wirtschaftlichen Erfassung der ca. 1000 zu bearbeitenden R\u00e4ume wurde zun\u00e4chst eine digitale,\u201eSenckenberg-spezifische\u201c Datenbank programmiert. Die raumweise Eingabe der Geb\u00e4ude- und Ausstattungs-Informationen vor Ort erfolgte mittels Tablet-PCs \u00fcber einen Zeitraum von mehreren Wochen. Die Bauchronologie visualisiert diese Informationen in Form eines Grundrisses, in dem die einzelnen Bau- und Umbauphasen zu erkennen sind. Nun kann man Bewertungskriterien erstellen und festlegen, welche Geb\u00e4ude- und Ausstattungsbereiche von besonderem Wert sind und erhalten werden sollen.<\/p>\n

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Bauwerkschronologie J\u00fcgelhaus
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Je fr\u00fcher diese Erhebung gemacht wird, umso besser k\u00f6nnen Denkmalschutz und die W\u00fcnsche des Bauherrn nach Modernisierung des Geb\u00e4udes unter einen Hut gebracht werden. Jeder Euro, der rechtzeitig in die Bestandsaufnahme als Grundlage f\u00fcr eine sp\u00e4tere Planung gesteckt wird, erspart in der Folge unangenehme \u00dcberraschungen in Form zus\u00e4tzlicher Kosten in mehrfacher H\u00f6he!<\/p>\n

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Ensemble Senckenberganlage<\/h3>\n

Der J\u00fcgelbau und die daran anschlie\u00dfende Senckenbergische Bibliothek bilden zusammen mit dem Museum der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft und dem Geb\u00e4ude des Physikalischen Vereins (Alte Physik) eine Geb\u00e4udegruppe, die zwischen 1904 und 1907 errichtet wurde. Die Geb\u00e4ude wurden erbaut, um f\u00fcr die immer gr\u00f6\u00dfer werdenden wissenschaftlichen Institute und das Naturhistorische Museum eine neue Heimst\u00e4tte zu schaffen. Obwohl die Geb\u00e4udekomplexe von zwei unterschiedlichen Architekten entworfen wurden \u2013 und der J\u00fcgelbau urspr\u00fcnglich nicht direkt zu Senckenberg geh\u00f6rte \u2013 bildet das Ensemble eine stilistische Einheit. Durch luftige Bogenhallen sind die drei Geb\u00e4ude miteinander verbunden. Dar\u00fcber hinaus war der heute nicht mehr vorhandene Uhrturm der Senckenbergischen Bibliothek das symmetrische Gegenst\u00fcck zu dem Turm der Sternwarte auf dem Geb\u00e4ude des physikalischen Vereins.<\/p>\n

Die architektonische Symmetrie ist zwar mittlerweile nicht mehr gegeben, trotzdem nehmen die Geb\u00e4ude durch ihre einheitlichen Baumaterialien noch immer aufeinander Bezug: geflammter roter Mainsandstein verbunden mit hellen Wandputzfl\u00e4chen, dunkelgrauen Basaltsockeln und Schieferd\u00e4chern \u2013 so wie es dem damals charakteristischen Frankfurter Erscheinungsbild entsprach.<\/strong><\/p>\n

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Vom Eschenheimer Tor in die Viktoriaallee<\/h3>\n

Bereits in der zweiten H\u00e4lfte des 19. Jahrhunderts plante die Dr. Senckenbergische Stiftung einige Neubauten auf ihrem Grundst\u00fcck am Eschenheimer Tor. Es gelang den Verantwortlichen damals allerdings nicht, die daf\u00fcr notwendigen Fl\u00e4chen an diesem Standort zu akquirieren. Mit Unterst\u00fctzung der Stadt Frankfurt erhielt die Senckenberg-Stiftung daraufhin das heutige Gel\u00e4nde an der Viktoriaallee f\u00fcr die Errichtung der Neubauten der Senckenbergischen Bibliothek, des Naturhistorischen Museums und des Geb\u00e4udes des Physikalischen Vereins.<\/p>\n

1904 begannen die Bauarbeiten an den Geb\u00e4uden. Der J\u00fcgelbau wurde von der Carl Christian J\u00fcgel-Stiftung finanziert und im Oktober 1906 fertiggestellt. In den neobarocken Neubau zog damals die Akademie f\u00fcr Sozial- und Handelswissenschaften ein. Der Bau des Physikalischen Vereins wurde im gleichen Jahr abgeschlossen. Die anf\u00e4nglich noch nicht mit dem J\u00fcgelbau verbundene Senckenbergische Bibliothek konnte ebenso wie das Naturkundemuseum ein Jahr sp\u00e4ter eingeweiht werden. Der J\u00fcgelbau und das Geb\u00e4ude des Physikalischen Vereins wurden als Unterrichtsanstalten und Forschungsgeb\u00e4ude errichtet und geh\u00f6rten nach der Gr\u00fcndung der Universit\u00e4t zu den Hochschulbauten.<\/p>\n

Kriegszerst\u00f6rungen und Wiederaufbau<\/h3>\n

Von den weitreichenden Kriegszerst\u00f6rungen der Stadt Frankfurt im Zweiten Weltkrieg blieb auch die Senckenberganlage nicht verschont \u2013 der Zerst\u00f6rungsgrad der Geb\u00e4ude nach zahlreichen verheerenden Bombentreffern betrug etwa 50 Prozent. Besonders die D\u00e4cher und oberen Geschosse wurden beinahe komplett zerst\u00f6rt, nahezu alle Fenster waren verloren. Die Innenr\u00e4ume trugen besonders durch eingeschlagene Brandbomben erheblichen Schaden davon.<\/p>\n

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Eingang Alte Physik<\/em><\/p>\n

Der Wiederaufbau in den 1950er Jahren wurde zum Anlass genommen, die Alte Physik, die Bibliothek und den J\u00fcgelbau einschlie\u00dflich Erweiterungsbau aufgrund des gestiegenen Raumbedarfs um jeweils ein Geschoss zu erh\u00f6hen. Angesichts der unterschiedlichen Geb\u00e4udeh\u00f6hen und der mittlerweile zum Geb\u00e4ude geh\u00f6renden Senckenbergischen Bibliothek erhielt letztere ein neues drittes Obergeschoss, der restliche Bau ein neues viertes Obergeschoss mit dar\u00fcberliegendem Dach.<\/p>\n

Der Wiederaufbau des J\u00fcgelbaus, der Senckenbergischen Bibliothek und des Geb\u00e4udes des Physikalischen Vereins erfolgten in vereinfachter Form: noch vorhandene Giebel wurden entfernt und die urspr\u00fcnglichen Mansardd\u00e4cher durch einfache Walmd\u00e4cher ersetzt. Auf eine Wiederherstellung der Bauzier wurde weitgehend verzichtet. Einzig der Giebel des Naturmuseums \u2013 heute stadtbildpr\u00e4gend \u2013 blieb erhalten.<\/p>\n

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Ansicht von der Senckenberganlage<\/em><\/p>\n

Der Uhrturm der Senckenbergischen Bibliothek \u2013 w\u00e4hrend des Krieges fast vollst\u00e4ndig zerst\u00f6rt \u2013 wurde aufgegeben, weshalb die urspr\u00fcnglich vorhandene Symmetrie zwischen dem Turm der Sternwarte und der Senckenbergischen Bibliothek heute nicht mehr besteht. Auch wenn durch die nicht mehr vorhandenen Bauteile und Dachformen wesentliche Gestaltungselemente fehlen, ist der Ensemblecharakter vor allem auch durch die verbindenden Arkaden auch heute noch pr\u00e4sent. Auch mit den im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Krieg neu entstandenen Geschossen und D\u00e4chern der Senckenbergischen Bibliothek, des J\u00fcgelbaus und der Alten Physik konnten neue verbindende Elemente geschaffen werden, die das Erscheinungsbild des Ensembles formen.<\/p>\n

Von den 1960er bis in die 1990er Jahre wurden \u00fcberwiegend nur die Innenr\u00e4ume umgebaut, um sie an die ver\u00e4nderten Nutzungsanforderungen anzupassen.<\/p>\n

Sind Denkmalstatus und Anforderungen der Gegenwart vereinbar?<\/h3>\n

Die wechselvolle Geschichte des Ensembles hat zur Folge, dass jedes Geb\u00e4ude im Grunde mehreren Entstehungszeiten h\u00e4tte zugeordnet werden m\u00fcssen (Bauzeit, Wiederaufbau, Umbau, Anbau usw.). Wie sollte man mit einem so heterogenen Baubestand umgehen? Denkmalschutz und Nutzungsanforderungen der Senckenberg Gesellschaft f\u00fcr Naturforschung standen sich diametral gegen\u00fcber: Die Denkmalschutzgesetzgebung fordert den Erhalt der historischen Geb\u00e4udesubstanz und -ausstattung. Senckenberg verfolgt dagegen das verst\u00e4ndliche Ziel, die R\u00e4umlichkeiten den zeitgen\u00f6ssischen Erfordernissen in Bezug auf die Sammlungen, Labore und weiteren Funktionsr\u00e4umen anzupassen, um f\u00fcr die Anforderungen einer global agierenden Forschungseinrichtung auch in Zukunft ger\u00fcstet zu sein. Insbesondere die Modernisierung der technischen Geb\u00e4udeausr\u00fcstung und die Anforderungen bez\u00fcglich Arbeitssicherheit und Brandschutz mussten in Einklang gebracht werden.<\/p>\n

Und genau hier kommt das oben genannte Raumbuch ins Spiel: In Verbindung mit einer denkmalpflegerischen Bewertung der in diesem Werk zusammengetragenen Fakten konnte nun fr\u00fchzeitig entschieden werden, in welchen Geb\u00e4udeteilen Eingriffe oder Umbauten m\u00f6glich waren und wo nicht.<\/p>\n

Seit fast 200 Jahren ist Senckenberg in der Naturforschung aktiv \u2013 seit 1907 ist die Gesellschaft an der Senckenberganlage zu Hause. Mit dem Umbau wird sich die traditionsreiche Institution f\u00fcr die Zukunft r\u00fcsten. Und das, ohne die Verbindung zu den Urspr\u00fcngen zu verlieren. Dank des beschrittenen Weges zur Bewahrung erhaltenswerter Bausubstanz werden Besucher und Mitarbeiter genau das auch sp\u00fcren, wenn sie ab 2017 durch die sanierten historischen Geb\u00e4ude schreiten.<\/p>\n

Dieser Beitrag erschien urspr\u00fcnglich in der Zeitschrift SENCKENBERG Natur – Forschung – Museum\u00a0 144 (Mai\/Juni) 2014<\/em><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

\u00dcberblick unserer Arbeit im Seckenberg-Magazin „Natur – Forschung – Museum“, 2014<\/p>\n","protected":false},"author":3,"featured_media":2292,"comment_status":"closed","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[1,9],"tags":[],"yoast_head":"\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\t\n\t\n\n\n\t\n\t\n\t\n